Quelle
Die Weltordnung, für die die deutschen Eliten sich entschieden haben
Betrachtet man die Gleichförmigkeit, mit der heute die
Auslandsberichterstattung in den deutschen Medien betrieben wird, so
gewinnt man den Eindruck, dass die deutschen Eliten fest entschlossen
sind, eine bestimmte außenpolitische Grundsatzentscheidung
durchzusetzen. Es geht um eine zweite Westorientierung nicht nur
Deutschlands, sondern der EU als Ganzes.
TTIP soll dazu dienen, die USA und die EU nicht nur
militärisch, sondern auch ökonomisch und kulturell eng zu verkoppeln.
Russland wird hierzu als Feind im Osten aufgebaut und damit quasi die
Rolle eines abstoßenden Magneten zugeschrieben. Die "neue alte Gefahr
aus dem Osten" soll die deutschen Eliten vom Segen der geplanten
transatlantischen Fusion überzeugen.
Doch haben die deutschen Eliten sich wirklich ein
zweites Mal für die USA entschieden? Und wenn ja, um was für eine Wahl
handelt es sich dabei eigentlich? Daran schließt sich die Frage an,
warum die deutschen Eliten mehrheitlich diese Entscheidung getroffen
haben? Da Westdeutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eng mit
den Vereinigten Staaten verbunden ist, kann es bei dieser Entscheidung
für die USA eigentlich kaum um einen Ausbau von Kooperation, Handel und
kulturellem Austausch gegangen sein. All dies ist seit Langem
gewährleistet.
Amerikanische Weltordnung
Tatsächlich geht es bei den TTIP-Verhandlungen um weit
mehr. Die Verhandlungen über das TTIP-Abkommen (Transatlantic Trade and
Investment Partnership) sowie auch über das pazifische Schwesterabkommen
TPP (Trans-Pacific Partnership) wurden von den USA initiiert, weil der
Globalisierungsprozess im Rahmen der WTO ins Stocken geraten war.
In den vergangenen zehn Jahren begannen aufsteigende
Großmächte wie Indien, China, Russland und Brasilien im Verbund mit
vielen kleineren Staaten, immer deutlicher ihre Interessen als
Schwellenländer zur Geltung zu bringen. Damit wurde es für den Westen
zunehmend schwieriger, die handelspolitische Open Door Policy
durchzusetzen, als deren Vehikel die WTO dienen sollte. Durch den
Widerstand der Schwellenländer wurde der eigentliche Zweck, den die
Globalisierung für die USA hat, nämlich die nationale Souveränität
anderer Länder zu schwächen und sie in die eigene Einflusszone
einzugliedern, immer schwerer durchsetzbar.
Schließlich schlossen sich Brasilien, Russland, Indien,
China und Südafrika sogar noch zu einem lockeren Staatenbund zusammen,
nämlich den BRICS-Staaten, um ihre Interessen gegenüber den westlichen
Ländern gemeinsam besser vertreten zu können. Sie taten dies in der
Hoffnung, dass die USA angesichts dieser Schwierigkeiten irgendwann zu
einer Überarbeitung des "Washington Consensus" bereit wären, der bislang
den Rahmen festgelegt hatte, unter dem die Globalisierung stattfand.
Den Schwellenländern ging es dabei darum, eine Reform
des IWF und der Weltbank durchzusetzen. Die neoimperialen Aspekte, die
von Anfang an mit dem Neoliberalismus als dominanter Wirtschaftstheorie
verbunden gewesen sind, sollten abgeschwächt und der Übergang zu einer
gerechteren Weltwirtschaftsordnung eingeleitet werden.
Doch durch die Initiierung des TTIP- sowie des
TPP-Abkommens hat Washington deutlich gemacht, dass es nicht zu einem
Kompromiss bereit ist. Stattdessen versucht man den Prozess nun so zu
organisieren, dass die aufsteigenden Großmächte und die von ihnen
gegründeten internationalen Organisationen wie etwa die BRICS
(Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) oder die SCO
(Shanghai Cooperation Organization) einfach von dem Prozess
ausgeschlossen werden.
Würden sowohl das TTIP- als auch das TPP-Abkommen
ratifiziert, so entstünde in der Tat eine globale Freihandelszone, die
nicht nur Russland und China ausschlösse, sondern auch Indien und
Brasilien sowie überhaupt alle Staaten, die sich in der vergangenen
Dekade um eine Reform der bisherigen globalen Handelsbeziehungen bemüht
haben. Bei diesem Vorgehen setzen die USA durchaus auf die
offensichtliche Größe der von ihnen geschaffenen Freihandelszone. Man
hofft, dass die geschaffene Handelsunion so maßgeblich sein wird, dass
den aufsteigenden Großmächten unter den Schwellenländern langfristig
nichts anderes übrig bleiben wird, als ebenfalls ein Beitrittsgesuch zu
stellen. Ein solcher Beitritt würde dann allerdings unter den
Bedingungen erfolgen, die bereits jetzt unter Federführung der USA in
den beiden Abkommen festgelegt werden.
Mit anderen Worten: Die USA wollen mit TTIP und TPP an
ihrem Anspruch, die Weltordnung des 21. Jahrhunderts im Alleingang
festzulegen, unbedingt festhalten. Beide Abkommen dienen vor allem der
Aufrechterhaltung einer von den USA ausgestalteten unipolaren
Weltordnung. Was im Zuge der unter dem Dach der WTO stattfindenden
Doha-Runden bisher nicht durchsetzbar war, soll nun ausschließlich mit
jenen Staaten durchgesetzt werden, die dem US-amerikanischen
Einflussbereich angehören. Die BRICS-Staaten, die aus Washingtons Sicht
über zu viel nationale Souveränität verfügen, sollen den Prozess nicht
länger stören können.
Risiko: eine Spaltung der Welt
Nun birgt das Vorgehen Washingtons allerdings das Risiko
in sich, dass sich nun auch die aufsteigenden Großmächte unter den
Schwellenländern ebenfalls auf der Basis von Bündnissen und
Wirtschaftskooperationen zusammenschließen. Insbesondere China und
Russland haben bereits mit dem Aufbau alternativer Handelsrouten auf dem
eurasischen Kontinent begonnen. Aus diesem unter dem Namen neue
Seidenstraße bekannt gewordenen Projekt könnte langfristig ein zweites
ökonomisches Weltsystem oder sogar ein gemeinsames Verteidigungsbündnis
hervorgehen. Denn schon geographisch böte sich dieses an, da neben Iran
auch drei der BRICS-Staaten auf dem eurasischen Kontinent in relativer
Nachbarschaft zueinander leben. Die Sicherheitsinteressen Russlands,
Chinas und Irans überschneiden sich in vielerlei Hinsicht. Hinzu kommt
die gemeinsame Erfahrung mit dem kolonialen oder auch neokolonialen
Anspruch des Westens.
Dass die USA sich dennoch für diese Politik entschieden
haben und dabei sogar eine erneute Spaltung der Welt als potenzielles
Risiko in Kauf nehmen, ist mit wirtschaftlichen Argumenten allein schwer
erklärbar. Dass sie dennoch so handeln, hat letztlich kulturelle und
ideologische Gründe. Aufgrund des großen Einflusses des Calvinismus in
den USA tendiert die Kultur des Landes sehr stark dazu, zwischen
Erwählten und Nicht-Erwählten zu unterscheiden. Dies hat zu einer
politischen Kultur geführt, die sehr stark dahin tendiert, die
vermeintlich Guten den vermeintlich Bösen gegenüberzustellen.
Stets gab es in der Geschichte der USA ein "Anderes",
einen Gegner, von dem man sich absetzte und durch den man seine
Identität konstituierte. Auch die heutigen Eliten der USA folgen diesem
Selbstverständnis und begreifen sich als "Sieger" im Kalten Krieg und
daraus resultierend als "Inhaber" der Weltordnung. Doch ein "Sieger" ist
nur der, der seine Wertvorstellungen und sein Zivilisationsmodell dem
"Besiegten" als verbindlich auferlegen kann.
In den 26 Jahren, die seit dem Fall der Berliner Mauer
vergangen sind, haben die USA fast nichts unversucht gelassen, um sich
ihres sogenannten "Sieges" zu versichern. Sie taten dieses, indem sie
eine Weltordnung gestalteten, in der eine Vielzahl von Staaten
"bestraft" wurden, die einst mit der Sowjetunion verbündet waren, wie
z.B. Libyen, Syrien, Irak, Serbien etc. Indem die USA die NATO nach
Osten ausdehnten und eine "Neuordnung" des Nahen Ostens durchsetzten,
versuchten sie eine Welt zu schaffen, in der der Kapitalismus nie wieder
in Frage gestellt werden könnte.
Mehr noch: Statt einfach nur eine Wirtschaftsphilosophie
zu sein, sollten die kapitalistischen Prinzipien, die Regeln des
Marktes, zum dominanten Konzept der Vergesellschaftung überhaupt werden.
Der Markt als ein sich selbst regulierendes System sollte demnach nicht
nur die Wirtschaftsprozesse regulieren, sondern auch die daran
angrenzenden Bereiche der Zivilisation, nämlich die Kultur, Bildung,
Religion und das gesamte soziale Leben nach seinem Modell ummodeln.
Diese dem Neoliberalismus innewohnende Idee, den Markt
nicht nur zum Grundprinzip der Wirtschaft, sondern zum Grundprinzip der
Vergesellschaftung an sich zu erklären, könnte der eigentliche Grund
dafür sein, warum es zu keiner Einigung zwischen den aufstrebenden
Schwellenländern und den USA gekommen ist. Viele Schwellenländer haben
den Kapitalismus als ein Prinzip zur Organisation der Wirtschaft
akzeptiert. Doch sie sind nicht bereit, seine Prinzipien auch auf die
anderen Bereiche der Kultur zu übertragen und ihr kulturelles
Eigenbewusstsein, ihre Nationalstaatlichkeit bis hin zu ihrer Tradition
und Religion nach Maßgabe dieser Prinzipien umzugestalten.
Zudem sind viele Schwellenländer gerade erst dem
kolonialen bzw. neokolonialen Status entkommen und genießen seit Kurzem
die Erfahrung staatlicher Souveränität. Diese erneut an transnationale
Organisationen abzugeben, erscheint ihnen unannehmbar. Doch da die USA
sich nicht nur als "Sieger" im Kalten Krieg, sondern auch als der
"Inhaber" der heutigen Weltordnung sehen, glauben sie, dass es ihr Recht
sei, alleine über das Zivilisationsmodell des 21. Jahrhunderts zu
entscheiden.
Welche Wahl hat Deutschland getroffen?
Indem die deutschen Eliten sich für die USA entschieden
haben, partizipieren sie an einem Konflikt, der von den USA selbst
geschaffen wurde. Dieser Konflikt resultiert aus dem falschen
Selbstverständnis, dass die USA sich als "Sieger" des Kalten Krieges
betrachten. Die deutschen Eliten unterstützen die Vereinigten Staaten
dabei, eine im Kalten Krieg entstandene Wirtschafts- und
Gesellschaftsphilosophie allen anderen Ländern quasi durch Zwang
aufzuerlegen.
Würde Deutschland als Führungsmacht der EU Washington
seine Gefolgschaft verweigern, so wären die USA gezwungen, mit den
BRICS-Staaten in einen offenen Dialog über das Zivilisationsmodell des
21. Jahrhundert einzutreten. Ein derart reflektierter Umgang mit den
Grundfragen der menschlichen Zivilisation wäre vermutlich für alle von
Vorteil. Sicherlich würde die rein liberale Lehre von der segensreichen
Funktion des freien Marktes dabei ein paar Federn lassen müssen. Denn
die Schwellenländer würden für eine mehr keynesianisch orientierte
Wirtschaftsordnung votieren, die Nationalstaatlichkeit, Schutz der
eigenen Kultur, gesellschaftliche Stabilität mit großen
Infrastrukturprojekten verbindet. Dieses klingt allerdings nicht wie
eine Katastrophe.
Dennoch haben sich die deutschen Eliten für die USA
entschieden und so erst das riskante Vabanquespiel Washingtons möglich
gemacht. Dabei zeigt bereits die Flüchtlingskrise, dass die Folgen
dieser Politik vor allem Europa und kaum die USA betreffen. Im Falle
eines Krieges der USA mit Russland wäre Europa sogar das Schlachtfeld.
Doch dies führt uns direkt zu der zweiten Frage, die wir eingangs
bereits stellten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen