Plötzlich geht alles sehr schnell.
Wie auf einer schiefen Ebene rutschen Europa und Österreich nach rechts.
Auch in der „liberalen Mitte“ scheint die rassistische Welle alle Dämme
zu brechen. Wir fühlen uns ohnmächtig – und wollen umso schneller
handlungsfähig werden. Noch ist es nicht zu spät. Der mosaik-Standpunkt.
Zuerst kamen die Zelte. Bald darauf der Zaun. Dann die aufgezwungenen Wertekurse. Dazwischen die nächste Verschärfung des Asylrechts, als letzte von vielen. Es folgten die Obergrenze für Asylanträge und schließlich Massenabschiebungen in Militärflugzeugen.
Seit Monaten erleben wir, wie die
Politik die Schrauben des staatlichen Rassismus immer fester anzieht.
Dabei macht sie sich die öffentliche Stimmung zunutze und heizt sie
zugleich weiter an. Mit der jüngst verkündeten Obergrenze wird das
Asylrecht abgeschafft und zur Lotterie erklärt. Nur noch die 37.500
schnellsten Flüchtlinge sollen eine Chance haben. Der Rest, so scheint
die Logik der Regierung, kann sterben gehen. Der nächste Schritt ist
absehbar: Menschen mit Asylstatus wird die Mindestsicherung gekürzt. Und
auch den übernächsten bereitet die ÖVP bereits vor – die
Mindestsicherung soll bei Familien generell mit 1.500 Euro gedeckelt
werden.
Gegen Flüchtlinge und Sozialstaat
Die Herrschenden gehen vordergründig
gegen eine Minderheit vor, doch tatsächlich attackieren sie die breite
Bevölkerung insgesamt. Ihre autoritäre Politik betrifft uns alle. Die
Eliten zerstören die Solidarität in der Gesellschaft, während
Rekordarbeitslosigkeit herrscht und die Armut steigt. Wenn sich alle um
die Brösel des Reichtums streiten, lebt es sich an der Spitze umso
gemütlicher. Bei der ÖVP wundert das trotz angeblich christlichem
Menschenbild niemanden, bei der SPÖ schockiert es noch. Nicht nur Hans
Niessl unterschrieb die Obergrenzen, nein, auch der Wiener
Bürgermeister. Vor kurzem galten Michael Häupl und sein Wahlkampf noch
als Rechtfertigung für den Verbleib in den Ruinen der Partei. Doch im
gleichen Maß, wie sich die Regierungspolitik nach rechts verschiebt,
wandern auch die Grenzen des Zumutbaren für linke SozialdemokratInnen.
Von massenhaften Absetzbewegungen ist bislang nichts zu bemerken.
Liberale Medien ganz rechts
Die herrschende Politik ist nicht
alleine, sondern wird von den liberalen MeinungsmacherInnen nach Kräften
unterstützt. Nicht, dass diese zuvor konsequent antirassistisch gewesen
wären. Doch sie wagten bestimmte Dinge nicht zu sagen. Jetzt bricht der
antimuslimische Rassismus, der schon lange vor Köln auch in linken und
linksliberalen Milieus existierte, offen hervor. Die sich selbst als
„liberale Mitte“ verstehenden Medien machen sich zum Verstärker des
Rechtsrutsches. Falter und profil,
um Beispiele zu nennen, scheinen sich einen Wettlauf um das
rassistischste Cover und die brutalste Titelgeschichte zu liefern. Viele
erleben das als plötzlichen Bruch. Für andere, die selbst von Rassismus
betroffen sind, ist es nur die nächste Zuspitzung des traurigen
Normalzustands.
„Rassismus nicht den Rechten überlassen“
Die Medien präsentieren uns MuslimInnen –
und das sind in ihren Augen alle Flüchtlinge – als einheitliche,
rückständige und zugleich „wilde“ Masse. Von der Krone bis zum Standard
sind sich fast alle einig: Wir müssen uns jetzt abschotten und jede
Menschlichkeit über Bord werfen. Diesen Rassismus verkauft uns der
mediale Mainstream als vernünftige Maßnahme zum Schutz der Demokratie
und der fantasierten „westlichen Werte“. Diese Entwicklung ist das
Ergebnis jahrelanger rechtsextremer Propaganda. Das lange aufgebaute
Feindbild Islam trifft sich heute mit der Sorge angesichts der
Flüchtlingsbewegungen. Die „liberale Mitte“, die sich als
antirassistisch und aufgeklärt bezeichnet, macht sich zum Sprachrohr der
FPÖ. „Wir dürfen das Thema nicht den Rechten überlassen“, sagen sie.
Doch in der Praxis heißt das: Sie wollen den Rassismus nicht länger den
Rechten überlassen. Endlich darf, ja muss ausgesprochen werden, was sich
bislang nur die extreme Rechte traute.
Autoritäre Wende im Staat
Ermutigt von dieser Stimmungsmache wagen
einige noch viel mehr. Sie nehmen den Rassismus selbst in die Hand,
treten stolz mit ihm an die Öffentlichkeit. Ein Arzt will keine AsylwerberInnen mehr behandeln. Eine Lokalbesitzerin erklärt ihre Bar für „asylantenfrei“.
Muslime und vor allem muslimische Frauen sind im Alltag ständigen
Übergriffen ausgesetzt, Flüchtlingsunterkünfte werden immer öfter
angegriffen. Die Bewegung, die diesen Rechtsrutsch vorantreibt, wendet
sich gegen MuslimInnen, aber auch gegen die Rechte anderer Minderheiten
und von Frauen. Begleitet wird sie von einer autoritären Wende im Staat.
Menschen, die von Rassismus betroffen sind und dagegen Widerstand
leisten, werden zunehmend kriminalisiert. Das im Jänner beschlossene Staatsschutzgesetz zielt darauf ab, die Überwachung und Unterdrückung muslimischer Gruppen zu erleichtern.
Ohnmacht und Schockstarre
In den sozialen Medien machen Vergleiche
mit der Frühphase des Nationalsozialismus die Runde. Geschichte
wiederholt sich nicht, doch eines lehrt sie uns eindeutig: Wenn wir den
Rechtsrutsch nicht bald stoppen, können wir die rassistische und
autoritäre Wende vielleicht nicht mehr aufhalten. Aber wie soll das
gelingen? Im Herbst gab es Massendemos für ein solidarisches
Miteinander, gegen den Beschluss der Obergrenzen im Jänner nicht. Es
ist, als wären wir in einer Schockstarre gefangen. Der Rechtsrutsch geht
so schnell vor sich, dass wir uns ohnmächtig fühlen. Vertraute Medien
stimmen in die rassistische Hetze ein. Wir kommen uns plötzlich ziemlich
alleine vor. Doch das sind wir nicht.
Wir sind nicht alleine
Die Zehntausenden, die im Herbst auf die
Straße gingen, sind immer noch da. Die vielen, die oft unsichtbar
Solidarität mit Geflüchteten leisten, tun das weiterhin. Diejenigen,
denen der Rassismus gilt, organisieren sich zunehmend selbst, um sich
zur Wehr zu setzen. AntifaschistInnen schreiten regelmäßig gegen
Aktionen der rechtsextremen Identitären ein. Ein großer Erfolg war auch
dieses Jahr die Demo gegen den Akademikerball, auf der zudem vermehrt
Slogans der Refugee-Bewegung zu hören waren. All das zeigt: Wir sind
nicht alleine. Was uns fehlt, ist eine organisierende Kraft, die uns
verbindet und gemeinsam handeln lässt. Am Aufbau dieser Alternative
müssen wir arbeiten. Wir dürfen uns dabei nicht mit einem rein
moralischen Anti-Rassismus zufriedengeben, wie er von grüner Seite
manchmal gepflegt wird. Solidarität mit von Rassismus Betroffenen muss
Hand in Hand gehen mit dem Kampf um die soziale Frage: Steigende Armut
und unerhörter Reichtum, Rekordarbeitslosigkeit und unbezahlbare Mieten
sind Teil der Ungerechtigkeit, die es zu bekämpfen gilt. Die dafür
nötige alternative Kraft müssen wir gemeinsam mit denen aufbauen, die
unter der herrschenden Politik am meisten leiden.
Die Dinge selbst in die Hand nehmen
Wir sehen heute klar und deutlich, dass
wir uns von den etablierten Parteien nichts erwarten dürfen. Es liegt an
uns allen, die wir noch an eine solidarische Gesellschaft glauben, die
Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Das soll kein leerer Aufruf sein und
keine bloße Floskel bleiben. Die mosaik-Redaktion bietet diesem Kampf
mit ihrem Blog einen medialen Raum. Doch wir brauchen mehr als das. Der
Aufbau einer alternativen Kraft wird derzeit an vielen Orten diskutiert.
An manchen dieser Debatten ist die mosaik-Redaktion beteiligt. Wir
hoffen schon bald konkrete Vorschläge präsentieren zu können. Wir sind
viele! Lasst uns gemeinsam handeln!
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