Reinhard Jellen
05.11.2014
Stefan Aust über die Fallstricke moderner Massenkommunikation
Durch neue Kommunikationsmittel ist die
totale Überwachung möglich und der Alptraum George Orwells wahr
geworden - mit dem bedeutenden Unterschied allerdings, dass die
Überwachung nicht staatlich-restriktiv durchgeführt wird. Stattdessen
vollzieht sie sich (zumindest auf den ersten Blick) freiwillig und über
den Konsum. Telepolis sprach darüber mit Stefan Aust, der zusammen mit Thomas Ammann das Buch Digitale Diktatur geschrieben hat.
Herr Aust, Sie schreiben dass ein "neuer
militärisch-industrieller Komplex" am Entstehen sei. Was unterscheidet
diesen von den früheren?
Stefan Aust: Der
frühere militärische industrielle Komplex war durch die Beziehung der
Politik zur Rüstungsindustrie gekennzeichnet. In unserem Falle ist es
eine Mischung aus Politik, Rüstungsindustrie, Spionage-Apparaten wie der
NSA und den großen amerikanischen Internetkonzernen, deren Produkte wir
tagaus tagein benutzen. Das heißt, es ist ein militärisch-industrieller
und gleichzeitig ein ziviler Komplex, der auf sehr intensive Weise in
den Lebensbereich aller Menschen eindringt.
"Jeder Schritt wird überwacht"
Wieso haben die Herrschaftsmöglichkeiten durch die IT-Kommunikation eine neue Qualität erhalten?
Stefan Aust: Weil
das, was wir an Kommunikation leisten, hauptsächlich über das Internet
geschieht und diese Vorgänge in einem kaum vorstellbaren Ausmaß
gespeichert, weitergegeben und genutzt werden. Letzteres nicht nur, um
festzustellen, was wir tun, sondern auch, um festzustellen, was wir
demnächst tun werden. Das Alles ist so angelegt, dass man damit eine
totale Kontrolle der Menschen vornehmen kann - und dergleichen wird ja
auch tatsächlich schon durchgeführt.
Im kommerziellen Bereich kann man dies ganz leicht
sehen: Wenn man bei Amazon ein Buch bestellt, werden einem innerhalb
kürzester Zeit Bücher angeboten, für die man sich vielleicht auch
interessieren könnte. Anhand dieser Einkaufskarte wird also relativ
schnell festgestellt, welche Waren beständig konsumiert werden und
darauf hin wird die Werbung eingestellt.
Das sieht im Konsumbereich zwar noch ziemlich
harmlos aus, ist es aber nicht. Sie können davon ausgehen, dass jeder
Schritt, den sie tun, so überwacht wird, als wenn hinter ihnen jemand
hergeht, der alles notiert.
Stefan Aust. Foto: © privat
Wie treffsicher ist die Auswertung der Daten durch Algorithmen?
Stefan Aust: Ich
würde sagen, sie ist hundertprozentig treffsicher. Es kommt nur darauf
an, welche Datenbestände ausgewertet werden. Aus dem Verhalten der
Leute im Internet kann man im Grunde ganz leicht auf das persönliche
Verhalten schließen. Namen von Leuten lassen sich zum Beispiel ganz
leicht identifizieren. Das funktioniert so wie ein Navigationssystem, da
braucht man auch nur drei verschiedene Anhaltspunkte, um festzustellen,
wo jemand ist.
Was sind die Folgen für die Menschen?
Stefan Aust: Die
direkten Folgen kann jeder spüren, der sich bei einem Unternehmen
bewirbt. Ich gehe davon aus, dass in vielen Unternehmen erst einmal
geforscht wird, ob der oder die Betreffende möglicherweise eine
persönliche Webseite betreibt und ob er oder sie eine Facebook-Seite
hat. Welche Auswirkungen derlei auf den Einzelnen hat, kann man ganz
deutlich sehen, wenn etwas davon justitiabel wird.
Zum Beispiel bei dem NSU-Prozess. Dort wollte die
Generalbundesanwaltschaft Informationen über den Angeklagten Ralf
Wohlleben einholen, weswegen sie sich an die NSA gewandt hat, die dessen
kompletten Internet-Verkehr inklusive Facebook-Auftritt gespeichert
hatte. Diese Informationen besitzt jetzt die Generalbundesanwaltschaft.
Jetzt ist es freilich richtig, bei einem
mutmaßlichen Straftäter persönliche Daten auszuwerten - wie es auch
richtig ist, in einem Mordfall Fingerabdrücke zu nehmen. Wenn aber
flächendeckend die Fingerabdrücke von allen genommen werden, so dass man
die Person jederzeit zuordnen kann, ist das eine andere Sache.
Heutzutage ist es technisch ganz leicht möglich - und es wird ja auch
bereits teilweise gemacht, in ein Auto eine Blackbox einzubauen, die
jederzeit registriert, wohin man mit dem Auto gefahren ist, mit welcher
Geschwindigkeit man gefahren ist und ob man falsch geparkt hat. Ich
finde zwar schon, dass sich jeder im Straßenverkehr sich gesetzeskonform
verhalten soll, aber ich möchte trotzdem (auch wenn sich das seltsam
anhört) das Recht haben, auch einmal falsch parken oder zu schnell
fahren zu können.
Sind diese Entwicklungen politisch gewollt?
Stefan Aust: Die
Frage lässt sich nicht einfach beantworten, es gibt hier verschiedene
Ebenen. Wenn es politisch gewollt wäre, würde das bedeuten, dass es eine
spezielle Institution gibt, die bestimmte Anweisungen gibt. Das ist
eindeutig nicht der Fall. Das viel schwierigere Problem ist, dass sich
solche Strukturen und Tendenzen verselbständigen und eine Eigendynamik
entwickeln, weil die Unternehmen mit dem Datenhandel unendlich viel Geld
verdienen können, was dazu führt, dass diese immer phantasievoller und
ihre Überwachungsmodelle immer genauer werden, weswegen die Überwachung
der Menschen zunimmt.
Inwiefern arbeiten Google, Facebook und Amazon mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammen?
Stefan Aust: Diese
Unternehmen versuchen sich in jeder Diskussion darauf hinauszureden,
dass sie von den amerikanischen Behörden gehackt werden. Das ist aber
nur begrenzt der Fall, weil die amerikanische Gesetzeslage eine
Zusammenarbeit mit den Behörden vorschreibt und die Unternehmen
verpflichtet, ihnen einen Einblick in diese Datenbestände zu gewähren.
Das Problematische daran ist, dass es hier sehr viele personelle
Überschneidungen gibt. Wie aus der Karriere von Edward Snowden
hervorgeht, landen viele Leute, die aus dem Regierungsapparat (zum
Beispiel aus der NSA) kommen, in einer Computerfirma oder in einem
Beratungsunternehmen oder umgekehrt.
Wie sieht die rechtliche Situation in Deutschland aus?
Müssten diese Konzerne in puncto Einhaltung der Datenschutzbestimmungen
nicht von deutscher Seite überprüft und gegebenenfalls gemaßregelt oder
bestraft werden?
Stefan Aust: Ich
glaube, die Gesetzeslage hat nicht Schritt gehalten mit dem, was
technisch machbar ist. Es muss neu darüber nachgedacht werden, was
erlaubt ist und was nicht. In Wirklichkeit wird das Recht auf
Selbstbestimmung über die eigenen Daten, wie es das Verfassungsgericht
im Urteil über die Volkszählung vorgeschrieben hat, längst jeden Tag
millionenfach überschritten.
Man muss die Gesetzeslage an das anpassen, was
heute technisch möglich ist. Das Wichtigste ist, dass die Menschen
überhaupt kapieren, auf was sie sich hier einlassen. Vielleicht gibt es
dann eine Bewegung wie beim Bio-Essen, wo es sich die Menschen etwas
kosten lassen, dass ihre Datenschutzrechte, ihr E-Mail-Verkehr und ihre
Telefonate nicht mehr so leicht überwacht werden können, wie bisher.
Inwiefern hängt diese Totalüberwachung der Menschen
mit ihrer zunehmenden Unterordnung unter wirtschaftliche Belange
zusammen?
Stefan Aust: Ich
weiß nicht, ob das früher wirklich anders gewesen ist - auf alle Fälle
erreicht diese Unterordnung eine völlig neue Dimension. Wir haben im
Grunde die zweite große technische Revolution: Die industrielle
Revolution ersetzte die Muskelkraft durch Maschinen und diese ersetzt
die Kraft des Gedächtnisses durch Speicherkapazitäten und diese sind so
weit durch Algorithmen miteinander verbunden, dass sie quasi wie
menschliches Denken funktionieren. Das führt dazu, dass Menschen nicht
Teil einer Maschine, sondern Teil eines Systems sind, das von
Denk-Maschinen gesteuert wird. Sie müssen nur durch die Stadt gehen und
sich ansehen, wie die Menschen wie gebannt auf ihr iPad starren und sich
von dem zeigen lassen, wohin sie gehen müssen.
Wie massiv wird die Demokratie durch diese Prozesse
beschädigt und warum steht die deutsche Politik dieser Entwicklung so
hilflos gegenüber?
Stefan Aust: Ich
glaube, dass die Politik den Eindruck hat, sie hätte den Anschluss
verloren, weil die Zentren dieser neuen Entwicklung vor allem in Silicon
Valley, also in den USA liegen. Deswegen denken sie im Wesentliche
darüber nach, diese Entwicklung einzuholen - und nicht darüber, wie wir
hier in Deutschland unseren persönlichen und staatlichen
Sicherheitsbereich gegen die Allmacht der großen Computerfirmen
abschirmen können.
Wenn die Politik zusieht wie die demokratischen
Rechtsgrundlagen mehr oder weniger ad absurdum geführt werden: Wie muss
die Gesellschaft reagieren?
Stefan Aust: Die
Gesellschaft muss zuerst einmal realisieren, was alles überwacht und
abgehört wird und für was man diese Datenbestände benutzen kann. Sie
muss darauf achten, dass einzelne Firmen wie Google nicht total
übermächtig werden. Der Zugriff auf die Daten muss auf alle Fälle
erschwert werden. Vielleicht gibt es ja bald Angebote von Firmen, bei
denen die Kommunikation nicht ohne weiteres überwacht werden kann (wie
beispielsweise unser Telephongespräch jetzt). Es muss einen privaten
Raum geben, bei dem man sich zumindest halbwegs sicher sein kann, dass
dieser nicht ohne weiteres ausgespäht werden kann. Das ist aber eine
Frage an den Gesetzgeber.
Müsste die Position von Whistleblowern rechtlich gestärkt werden?
Stefan Aust: Für die
USA ist ein Whistleblower ein Verräter, der gegen die Gesetze seines
Unternehmens verstößt. Aber es gibt ganz einfach Tatbestände, bei denen
es notwendig ist, gegen Gesetze zu verstoßen und eine Information an die
Öffentlichkeit zu bringen. Ein Whistleblower muss sich hier rechtlich
zu seiner Verteidigung auf höherwertige Dinge als die jeweilige
Betriebsverfassung berufen können.
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