Sonntag, 24. März 2019

Fremdenfeindlichkeit : Ein Hass, der chinesische Wurzeln hat

…… Dieser Hass auf Flüchtlinge (Nan Min) in der chinesischen Öffentlichkeit ist ein relativ neues Phänomen und die Ursachen dessen finden sich ebenso in der Vergangenheit wie in der Gegenwart von Kultur, Politik und Ideologie in China. Diese Ursachen liegen vor uns wie Teile eines zersplitterten Spiegels, wüst verstreut, einander manchmal überlagernd, manchmal weit voneinander entfernt – aber alle Scherben spiegeln die Träume der chinesischen Regierung von heute, der chinesischen Bevölkerung und der Auslandschinesen. Und sie machen wenig Hoffnung auf eine bessere Welt. 

…. Wissenschaftler wie Frank Dikötter und Yinghong Cheng, die zu den wenigen gehören, die zu diesem Thema forschen, konnten jedoch belegen, dass Rassismus nicht nur in China, sondern auch in den Gemeinschaften ethnisch-chinesischen Ursprungs in Übersee weit verbreitet ist. In der chinesischen Geschichtsschreibung hat sich ein ethnozentristisches Bild der Überlegenheit gehalten, das heute eine neue Blüte erlebt. 

….. Rassistische Vorstellungen haben sich in China im Lauf von Jahrhunderten verfestigt. In seinem Buch Strangers at the Gate beschreibt Frederic Wakeman Jr., wie die Ming-Dynastie vom 14. Jahrhundert an den Kontakt mit anderen Zivilisationen fast völlig abbrach und erklärte, alle fremden Kulturen seien barbarisch. Man müsse sich weder um sie kümmern noch sie fürchten. Mit den Opiumkriegen, die China fast einer Kolonisierung unterwarfen, geriet dieses Weltbild ins Wanken. Seither haben sich andere Vorstellungen einer rassisch begründeten Hierarchie ausgebildet: Ganz oben stehen die Weißen und die Chinesen, die miteinander konkurrieren. Weiter unten gibt es ein Gemisch aus anderen "Rassen", und der den Schwarzen zugewiesene Ort ist ganz unten.

…. Das 21. Jahrhundert hat dieser Hierarchie eine neue "Rasse" hinzugefügt: die Muslime. Nach dem 11. September, der weltweiten Zunahme islamistischer Terrorangriffe, den uigurischen Unruhen von 2008, den Aufständen von Ürümqi 2009 und dem Massaker von Kunming 2014 wurden die Muslime langsam ganz unten bei den Schwarzen einsortiert. Diese zusammenfantasierte Hierarchie kann die Mitleidlosigkeit der chinesischen Gesellschaft im Umgang mit tibetischen Buddhisten und den im uigurischen autonomen Gebiet Xinjiang von der Regierung verfolgten Muslimen zum Teil erklären, ebenso wie den in der jüngsten Krise zu Tage getretenen Hass auf Flüchtlinge, unter denen nun mal zahlreiche Muslime sind.

….. Für den Hass auf Muslime hat die chinesische Regierung viel Verständnis aufgebracht, sie hat sogar die Verbreitung von Falschmeldungen über "zahlreiche von Muslimen begangene schreckliche Verbrechen" gefördert, die in sozialen Medien grassieren. Diese Art von Fake-News hat in der chinesischen Bevölkerung den Eindruck verfestigt, in Europa und den USA herrschten Chaos und Gewalt, und so die harte Hand des chinesischen Polizeistaats legitimiert. Falschmeldungen werden auch helfen, die brutale Unterdrückung der Muslime von Xinjiang zu legitimieren, falls sie in China bekannt werden sollte – wegen der strengen Kontrolle der Nachrichten aus Xinjiang wissen die meisten Chinesen nichts über die Lage dort.

…. Nun gehören aber die Chinesen selbst zu einer der größten Migrantengruppen der Welt. Wie gehen die flüchtlings- und migrantenfeindlichen Chinesen mit dieser Tatsache um? Indem sie chinesische Migranten zu den wertvollsten Musterbürgern ihrer jeweiligen Gastländer erklären.

…. Im Einklang mit der Regierungspropaganda erklären viele chinesische Gemeinden im Ausland, Gene, Kultur, Tradition und Geschäftssinn der Chinesen seien von solcher Überlegenheit, dass sie ihren Gastländern viel nützlicher seien als die "faulen Schwarzen" oder die "lästigen Muslime". 

…. Wir erleben aber auch, dass sich immer mehr chinesische Auslandsstudenten in der Flüchtlingshilfe und im Kampf gegen Fake-News engagieren. Das Gleiche gilt für viele chinesische Einwanderer der zweiten Generation, die im Westen aufgewachsen sind und den in der Elterngeneration weitverbreiteten Rassismus ablehnen. Leider ist diese Gruppe noch relativ klein.

….. Die chinesische Regierung, die chinesische Gesellschaft und die Auslandschinesen verweigern die Modernisierung ihres Politikverständnisses. Dieses Versagen, diese Verweigerung befindet sich im Gleichklang mit dem weltweiten Wiedererstarken des Tribalismus und einer Mentalität des sich Abschottens von Gesellschaften, hat dabei aber ihre ganz eigenen chinesischen Wurzeln. ….
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