Samstag, 27. Oktober 2018

Der Staatsfeind Nummer 1 - Islam - warum das so ist und wie der geschichtliche Hintergrund dazu ist, findet ihr hier in einen absolut ausführlichen und lesenswerten Rückblick auf die Geschichte Europas


Das Feindbild Islam wurde gehegt, gepflegt und wiederbelebt, um weltweit Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung zu rechtfertigen. Exklusivabdruck aus „Lieblingsfeind Islam“. von Petra Wild

Islamfeindlichkeit ist keine Erscheinung und Folge unserer heutigen Zeit. Schon Martin Luther bezeichnete den Koran als ein „verfluchtes, schändliches Buch voller Lügen“. Auch die Aufklärung brachte ein Islambild hervor, das alles, wovon Europa sich abgrenzen wollte, auf den Orient übertrug: Rückständigkeit, Fanatismus, Wissenschaftsfeindschaft und Despotismus. Kolonialismus wirkt bis heute nach. Und der Westen hat seit jeher die Angewohnheit, alles, was die muslimische Welt betrifft, durch den Islam erklären zu wollen, wohingegen keiner auf die Idee käme, den Vietnam-Krieg durch das Christentum zu erklären. Ein überfälliger Streifzug durch die Geschichte.



vollständiger text im Rubikon


……. Die Stärke und Wucht, mit der der antimuslimische Rassismus sich durchsetzte, wäre ohne die lange Geschichte des Feindbildes Islam in Europa nicht denkbar gewesen. Der Islam ist neben dem Judentum das älteste und wirkungsmächtigste Feindbild auf dem Kontinent. Die geographische Nähe zwischen Europa und der islamischen Welt, die gemeinsame wechselvolle und oftmals konfliktreiche Geschichte sowie die Tatsache, dass die islamische Welt Europa über Jahrhunderte überlegen war, haben dem Islam einen besonderen Stellenwert in der europäischen Imagination verliehen (3).

…… Viele der heute gängigen antimuslimischen Stereotype wurden bereits im Mittelalter ausgebildet und in der Folgezeit erweitert. Sie schlummerten im europäischen kollektiven Gedächtnis und es war ein Leichtes, sie zu gegebener Zeit wiederzubeleben.

….. Der Islam war seit seiner Entstehung im 7. Jahrhundert für Europa nicht nur eine religiöse, sondern auch eine geographische, machtpolitische und zivilisatorische Herausforderung.
Im 9. Jahrhundert erreichte die arabische Eroberungswelle auch Sizilien und Süditalien...…  Innerhalb weniger Jahrzehnte entstand ein islamisches Weltreich, dessen Ausdehnung nur noch mit der des chinesischen Reiches zu vergleichen war. Die arabisch-islamische Welt wurde zu einer internationalen Handelsmacht mit einer hochentwickelten Zivilisation. Zwischen dem 8. und dem 16. Jahrhundert war der muslimische Osten dem christlichen Westen in jeder Hinsicht überlegen...…

…. Die europäische Auseinandersetzung mit dem Islam begann direkt nach dessen Entstehung im 7. Jahrhundert und war größtenteils von Feindseligkeit geprägt..... Die ersten, die sich über den Islam ereiferten, waren die Kirchenväter. ….. Die christlichen Traktate über den Islam waren von Polemik und Spott gekennzeichnet. Muhammad, der Prophet des Islams, wurde nach Kräften diffamiert, etwa als „Betrüger“ und „Anti-Christ“.

….Eine neue Qualität der Auseinandersetzung kristallisierte sich im neuen Jahrtausend heraus, als am 27. November 1095 Papst Urban II. auf dem Konzil in Clermont zum ersten von sieben „Heiligen Kriegen“ der lateinischen Christenheit gegen den Islam aufrief. ….. Die Idee, „das Heilige Land“ zu befreien, ergriff die Massen und machte die Kreuzzugsbewegung zu einer breiten Bewegung des Hochmittelalters. Es wurde propagiert, dass es die Verpflichtung aller Christen, ja gleichsam für das Seelenheil notwendig sei, in den Krieg gegen die „Heiden“ zu ziehen. 

„Der Missionierungsdrang der Christen steigert sich in diesen Versen des Rolandsliedes zu Fanatismus, der nicht mehr nur Bekehrung will, sondern Ausrottung der Unbekehrbaren fordert. Diese Alternative ist eines der Wesensmerkmale der Kreuzzüge, sei es der Normannenzüge gegen die Muslime in Sizilien, der ›Reconquista‘ in Spanien oder des ersten großen Kreuzzuges von 1096. Besonders jedoch die Kreuzzugsunternehmungen der französischen Ritter gegen die iberischen Muslime am Ende des 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts prägt diese Atmosphäre der Intoleranz“ (7). 

…. Bei der Eroberung Jerusalems durch die europäischen Kreuzritter 1099 wurde die multireligiöse und multiethnische Bevölkerung der Stadt massakriert. Danach wurde dort ein früher europäischer Siedlerkolonialismus errichtet, der 1187 unter der Führung von Salah al-Din al-Ayoubi beendet wurde.....

….. Die Expansion des sich seit dem 14. Jahrhundert herausbildenden Osmanischen Reiches führte zu einer Wiederbelebung des Kreuzzugsgedankens...… Die Osmanen expandierten in einem ähnlich rasanten Tempo wie der frühe Islam. Im 14. Jahrhundert breitete sich das Osmanische Reich gleichzeitig in Kleinasien und Europa aus. ….

…. Kardinal Enea Silvio Piccolomini, der nur wenige Jahre später zu Papst Pius II. wurde, rief bereits 1454 zu einem Kreuzzug gegen die Türken auf. Auch sein Nachfolger Pius III. (1439–1503) war ein wortgewaltiger Propagandist des Heiligen Krieges (11).
Nur wenig später trafen das Habsburgerreich, das sich zu einer der stärksten Mächte Europas entwickelt hatte, und das Osmanische Reich aufeinander. ….

….. In Türkenmessen, Türkenpredigten und Türkenglocken verbreitete die Kirche die „Türkengefahr“. Hinzu kamen Türkenlieder und illustrierte Druckblätter. …
Durch die illustrierten Druckblätter verbreitete sich das Feindbild Türke/Muslim über große Teile Europas, sodass sich in Frankreich das „Türkenbild“ nicht wesentlich von dem im Habsburgerreich unterschied. In der antitürkischen Propaganda wurden vor allem Grausamkeiten, Zerstörung der Familie, Vielweiberei und Homosexualität in den Vordergrund gestellt. Diese Propagandaanstrengungen waren auch deswegen nötig, weil das Osmanische Reich auf die bäuerliche Bevölkerung in Mittel- und Osteuropa eine gewisse Anziehungskraft ausübte.
…. Nicht nur gab es dort in Bezug auf die Religion eine größere Toleranz, die sich darin zeigte, dass Protestanten ihren Glauben in den von den Osmanen eroberten Gebieten frei von jeder Verfolgung ausüben konnten. Hinzu kamen Berichte über die sehr viel größere soziale Mobilität, die im Gegensatz zur europäischen Ständegesellschaft eine Würdigung von Verdiensten erlaube. So gab es innerhalb des Habsburger Reiches auf protestantischer Seite eine starke Gruppe von Befürwortern eines Zusammengehens mit den Osmanen.

…. Zur Zeit der Türkenkriege begann die Verlagerung des religiös begründeten Feindbildes Islam auf das ethnisch begründete Feindbild „Türke“. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts wurde es üblich, Muslime und Türken gleichzusetzen. … Diese tendenzielle Verlagerung des Feindbildes Islam zum Feindbild „Türke“ ging einher mit der Neudefinition der Christen als Europäer. ….

…. Diese Neudeutung des Kreuzzuges durch Biondi spielte eine wichtige Rolle „für die Wahrnehmung und Einordnung der osmanischen Expansion, für ihre Apperzeption (16) als eine die gesamte lateinische Christenheit bedrängende Türkengefahr und für die Ausbildung des Deutungsmusters ‚Europa‘ und die ‚Türken‘“ (17)….

…. Nach der Zurückdrängung der osmanischen Angriffe auf Europa und der Eroberung vieler Gebiete, die unter osmanischer Kontrolle gestanden hatten, begann sich das Bild des Islams zu wandeln. Jetzt, da von Muslimen keine Gefahr mehr ausging, wurden sie und ihre Zivilisation verächtlich gemacht oder romantisch verklärt..... Parallel dazu wurden muslimische Gesellschaften während der Aufklärung als negative Gegenfolie des neuen Europas konstruiert, das sich als rational und der Wissenschaft huldigend betrachtete.....

…. Einerseits betrachteten viele von ihnen den Islam als eine tolerantere Religion als das Christentum, andererseits benützten sie den Islam und seinen Propheten in Angriffen, die eigentlich gegen die katholische Kirche gerichtet waren, als Platzhalter und projizierten all das, was sie am Christentum verurteilten, auf den Islam. Ein Beispiel für die Betrachtung des Islams als Verkörperung von Toleranz ist Gottfried Ephraim Lessings Ringparabel. Auch Johann Wolfgang von Goethe stand dem Islam positiv gegenüber und würdigte den großen Einfluss des Orients auf die Entwicklung Europas, wie sein West-östlicher Divan zeigt. Voltaire hingegen porträtierte Muhammad in seiner allgemeinen Kritik der Religion als Hochstapler und Fanatiker, um damit der Kirche einen Spiegel vorzuhalten.....

…. Viele Aufklärer hoben die wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen der islamischen Zivilisation in der Vergangenheit hervor, betonten aber gleichzeitig, dass diese Blüte vorbei sei. ..
… Die Aufklärung brachte ein Islambild hervor, in dem all das, wovon Europa sich abgrenzen wollte, auf den Orient übertragen wurde: Rückständigkeit, Fanatismus, Wissenschaftsfeindschaft und Despotismus. Der Islam und die muslimische Welt wurden immer als genau das Gegenteil dessen, wie die neuen europäischen Eliten sich selbst sahen, dargestellt. Wieder spielte der Islam die Rolle des „Alter Ego“ Europas (19). …

…. Die meisten westeuropäischen Länder waren zu unterschiedlichen Zeiten Kolonialmächte. Europa wurde so stark, dass es bis zum 19. Jahrhundert 85 Prozent des Erdballes unterwerfen und kolonisieren konnte. Mit dem Kolonialismus kam der Rassismus. Die alte Feindschaft gegen den Islam bekam ein neues Gewand und eine neue Qualität. Die Vorwürfe des gegen Muslime gerichteten kolonialen Rassismus waren Rückständigkeit, Fanatismus und Frauenunterdrückung. Dieser koloniale Blick prägt die Wahrnehmung der westlichen Welt bis heute....

…. Der Orientalismus entwickelte sich parallel zur kolonialen Durchdringung der arabisch-islamischen Welt durch europäische Großmächte, allen voran Großbritannien und Frankreich. Ausgangspunkt war eine Position der Dominanz und Konfrontation sowie kulturelle Antipathie (22). Die Grundannahmen des Orientalismus sind, dass „der Orient“ absolut anders als der Okzident und diesem unterlegen ist....

…. „Eines ist die absolute und systematische Differenz zwischen dem Westen, der rational, entwickelt, human überlegen ist, und dem Orient, der anormal, unterentwickelt, minderwertig ist. Ein weiteres Dogma ist, dass Abstraktionen über den Orient, insbesondere solche, die auf Texten basieren, die eine ‚klassische‘ orientalische Zivilisation repräsentieren, immer direkter Evidenz aus modernen orientalischen Realitäten vorzuziehen sind. Ein drittes Dogma ist, dass der Orient ewig, uniform und unfähig ist, sich zu definieren (…) Ein viertes Dogma ist, dass er im Grunde genommen etwas ist, das entweder zu fürchten ist (die gelbe Gefahr, die mongolischen Horden, die braunen Dominions) oder zu kontrollieren (durch Pazifizierung, Forschung und Entwicklung, offene Besatzung, wann immer möglich)“ (23)….

… „Insofern als der Islam immer als zum Orient gehörend betrachtet wurde, war es sein besonderes Schicksal, innerhalb der binären Struktur des Orientalismus als in erster Linie monolithisch und mit einer sehr speziellen Feindseligkeit und Furcht betrachtet zu werden. Es gibt natürlich viele religiöse, psychologische und politische Gründe dafür, aber alle diese Gründe rühren aus einer Wahrnehmung, dass der Islam für den Westen nicht nur ein gefürchteter (formidable) Konkurrent sondern auch eine späte Herausforderung des Christentums war“ (24). ….

…. Der Orientalismus bestimmt die Wahrnehmung der westlichen Welt bis heute. Dessen wohl hartnäckigstes Erbe ist die Angewohnheit, alles, was die muslimische Welt betrifft, durch den Islam erklären zu wollen, wohingegen keiner auf die Idee käme, den Vietnam-Krieg durch das Christentum oder die Besetzung Palästinas durch das Judentum erklären zu wollen (26). Diesem Ansatz liegt eine Essenzialisierung zugrunde, die rassistisch ist. Sie ermöglicht es, die islamische Welt als ewig und unveränderbar darzustellen. Alles, was dort geschieht, wird so gleichsam zu einer stetigen Wiederholung des Immergleichen, zur bloßen Verkörperung einer imaginierten islamischen Essenz. Die islamische Welt wird außerhalb der Geschichte gestellt und Muslime zu einer besonderen Spezies gemacht.....

….. Der „Orient“ kann sich nicht selbst repräsentieren. Er wird vom Westen repräsentiert. Dieses Machtverhältnis und der daraus resultierende Zwang führen teilweise dazu, dass „Orientale“ sich selbst orientalisieren, das heißt, dass sie sich selbst durch die Brille des dominierenden Westens sehen. Sie entfremden sich ihrer eigenen Kultur, Geschichte und Identität, identifizieren sich mit dem mächtigen Westen und übernehmen die Bilder, die sich dieser von ihrer Kultur gemacht hat. 
In Indien gibt es dafür den Begriff des „brown sahib“, für die USA prägte Malcolm X den Begriff des „House Nigger“ (28). In Anlehnung daran bezeichneten kritische Araber in den USA Muslime, die versuchen, die Anerkennung der dominierenden weißen Bevölkerung zu erlangen, indem sie ihr all die Schauergeschichten erzählt, die diese so gerne über den Islam hört, als „House Muslims“. Auch in Deutschland gibt es diese Spezies, wenngleich noch kein Name für sie geprägt wurde (29)….

….. In den 1970er-Jahren entstanden unter dem Einfluss der Entkolonisierung neue progressive theoretische Ansätze, die die Abkömmlinge der Kolonialwissenschaften wie den Orientalismus und andere Regionalwissenschaften einer kritischen Revision unterzogen. Doch mit der Wiederbelebung der westlichen Kriegs- und Kolonialpolitik in der muslimischen Welt nach dem Sieg des kapitalistischen Lagers im Kalten Krieg verstärkte sich auch wieder der Orientalismus.....

In Hollywoodfilmen wimmelt es nur so vor laut herumschreienden, fanatischen, schießwütigen Arabern. Rassistische Bilder über Araber und Muslime sind in der westlichen Kultur so weit verbreitet und so fest verankert, dass sie gar nicht als solche erscheinen, sondern im Gegenteil als das „Normale“ gelten und damit für wahr gehalten gelten. 

Das heißt, dass eine jede und ein jeder, die oder der in die westlichen Gesellschaften hineingeboren wurde, die tief verwurzelten orientalistischen Muster durch den Sozialisationsprozess und die Allgegenwart der antimuslimischen Stereotpye unbewusst in sich aufgenommen hat.

… Der antimuslimische Rassismus ist Ausdruck eines Zivilisationsrassismus, der tief in der europäischen Kultur verankert ist. Wie der alte koloniale Rassismus sich als „Zivilisierungsmission“ tarnte, kommt auch der moderne Rassismus scheinbar progressiv daher. Moderne Rassisten beziehen sich auf positive und progressive Werte, die in der „christlich-jüdischen abendländischen Kultur“ wurzeln sollen: Aufklärung, Menschenrechte, Toleranz, Emanzipation und dergleichen mehr. Diese „Werte“ werden gegen die Nicht-EuropäerInnen oder als nicht-europäisch vorgestellten muslimischen Europäer ins Feld geführt, um die eigene Überlegenheit zu demonstrieren.....

…. Doch so wie das Bild, das der Rassist vom Anderen konstruiert, unwahr ist, so ist auch das zur Begründung des Überlegenheitsanspruchs konstruierte Selbstbild unwahr. Die positive Identifikation als Europäer gelingt nur, weil die tatsächliche Geschichte Europas ausgeblendet und geschönt wird.

…. Im 15. und 16. Jahrhundert löste sich die alte europäische Ordnung auf und die Weltwirtschaft entstand auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise..... Das Kapital wurde weitgehend zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert durch Beraubung der Kolonien akkumuliert. Der Großteil dieses Kapitals wurde nicht mittels ‚ehrlichem‘ Handel durch die Handelskapitalisten erwirtschaftet, sondern zu weiten Teilen durch Räuberei, Piraterie, Zwangsarbeit und Sklavenarbeit“ (35)…. Doch nicht allein die Holländer wüteten auf diese Weise in den Kolonien. „Die Geschichte der spanischen Konquistadores, die Gegenden wie Haiti, Kuba und Nikaragua vollständig entvölkerten und ungefähr 15 Millionen Indianer ausrotteten, ist allzu bekannt“, schreibt Maria Mies. Bei der Eroberung der Amerikas wurden schätzungsweise 70 Millionen Menschen innerhalb von 50 Jahren von den europäischen Eroberern ermordet. Auch Vasco da Gama hinterließ nach seiner zweiten Ankunft in Indien in den Jahren 1502–1503 eine breite Blutspur.... 
„Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation“ (38)….

….. Eurozentrismus bedeutet, dass die Europäer sich als zivilisatorisch überlegen ansehen und daraus das moralische Recht zur Beherrschung der Welt ableiten.  Beginnend mit der Renaissance wurde die europäische Identität in der Wissenschaft und Literatur als ausschließliche und ausschließende weiße Identität konstruiert. Die Renaissance war der Ausgangspunkt der Eroberung der Welt durch das kapitalistische Europa.....

…. Diese Überlegenheitsphantasie der Europäer wurde während der Aufklärung, auf die sich heute im „Kampf der Kulturen“ von ganz links bis ganz rechts alle beziehen, weiterentwickelt und mit einer wissenschaftliche Grundlage versehen. Dem Anspruch nach war die Aufklärung des 18. Jahrhunderts, wie Immanuel Kant, einer ihrer wichtigsten Philosophen in Deutschland, es formulierte, „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Als wesentliche Momente der Aufklärung werden die Befreiung von religiösem Obskurantismus und die Entwicklung der Wissenschaften angesehen.....

… Mit der Aufklärung entwickelte sich auch der wissenschaftliche Rassismus. Historisch fallen der Aufstieg des Bürgertums, die Aufklärung als dessen Ideologie und die Entstehung des wissenschaftlich begründeten Rassismus zusammen. Die Entwicklung des Rassismus begann im 17. Jahrhundert; bis ins 19. Jahrhundert prägte er sich als vollentwickelter wissenschaftlicher Rassismus aus. Dieser spiegelte wider, dass der Aufstieg des Bürgertums einherging mit der Kolonisierung des Erdballs.... „Rassismus entstand als Erklärungs- und Rechtfertigungsideologie der welthistorischen materiellen, militärischen und technischen Überlegenheit der Europäer seit ihrer Expansion in Übersee“ (45). ….

Die ideologische Rechtfertigung dafür ging aus der Aufklärung hervor. Denn das Fortschrittsparadigma wurde auf die Entwicklung der Menschheit übertragen und das europäische Entwicklungs- und Zivilisationsmodell zum universal einzig gültigen Entwicklungsmodell erklärt. Der „aufgeklärte“, rationale weiße (besitzende) Europäer wurde zum Maßstab. Dadurch wurden die Menschen hierarchisiert und die Bevölkerungen der drei Kontinente zu Vorstufen der europäischen Entwicklung gemacht.
…. Da diese Klassifzierung und Hierarchisierung die nicht-weißen, nicht-europäischen Menschen im globalen Süden nicht als vollständige Menschen zählen konnte, war ihre Unterdrückung, Ausbeutung, Misshandlung und Ermordung vertretbar. …..

…. Michaela von Freyhold zufolge gehört „der Rassismus zur abendländischen Kulturtradition und ist vor allem im Massenbewusstsein der Mittel- und Westeuropäer tief verwurzelt. Der Rassismus war ein Begleiter/Wegbereiter des Kolonialismus und des modernen Imperialismus, seine Geschichte eng mit Kolonialpolitik (Eroberung fremder Länder, Ausrottung, Versklavung ihrer Bewohner und Ausbeutung der Rohstoffquellen) verbunden. Der Kolonisierung folgte die Klassifizierung bzw. Katalogisierung der Menschheit durch eine pseudowissenschaftliche Rassenlehre, Anthropologie und Kraniologie (Lehre vom Schädelbau) auf dem Fuß..... Seit europäische Kolonialherren die Unterdrückung fremder Völker mit einer Herrenmenschenideologie zu rechtfertigen suchten, sind rassistische Denkmuster nicht nur den besitzbürgerlichen Gesellschaftsschichten in Fleisch und Blut übergegangen“ (48). ….

Das Nachwirken des Kolonialismus - Europa hat seinen Kolonialismus niemals aufgearbeitet, so dass sich der „koloniale Blick“ als Kernbestandteil des eurozentrischen Zivilisationsmodells, der die Überlegenheit der Europäer und die Minderwertigkeit der Nicht-Europäer beinhaltet, ungebrochen gehalten hat (49). … In Deutschland wird viel über die Aufarbeitung der Vergangenheit gesprochen. Diese beschränkte sich jedoch auf den Antisemitismus und den Holocaust – und auch an diesem Punkt fand sie nicht wirklich statt. …. Die deutsche Beteiligung an der europäischen Expansion und Kolonialisierung reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Große Handels- und Geldhäuser wie die Welser, Fugger und Ehinger beteiligten sich schon früh daran. Der „große Kurfürst» Friedrich Wilhelm Brandenburg (1620–1688) stieg im 17. Jahrhundert in den transatlantischen Sklavenhandel ein (50). … Nach der deutschen Einigung 1871 wurde Deutschland kurzzeitig zum Empire. Im Rahmen des europäischen Wettlaufs um Afrika errichtete es ab 1884/85 die Kolonie Deutsch-Ostafrika, die die Gebiete des heutigen Tansania, Ruanda und Burundis umfasste. Hinzu kamen die Kolonie Deutsch-Südwestafrika – das heutige Namibia – sowie Kamerun, Togo und Ghana. Nach der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg musste Deutschland seine Kolonien an die anderen europäischen Kolonialmächte abgeben.....
Einer der berüchtigten Kolonialbeamten in Tansania war der Gouverneur des Kilimanjaro-Gebietes Carl Peters. Er war verantwortlich für Zwangsarbeit, unmenschliche Behandlung, hohe Besteuerung und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung. Diese musste in Zwangsarbeit eine Eisenbahnstrecke bauen; wer versuchte, sich der Zwangsarbeit zu entziehen, wurde ermordet. Die Nazis benannten eine Straße im Berliner Stadtteil Wedding nach Carl Peters...…

…… So gibt es zwar in Berlin ein Holocaust-Museum, aber keines zum Völkermord an den Herero und Nama in Namibia. Den afrikanischen Opfern und ihren Nachkommen wurde bis heute keine Gerechtigkeit getan. Sie fordern eine Anerkennung des Völkermords, eine Entschuldigung und eine angemessene Entschädigung, doch die Bundesrepublik verweigert dies. Dieser ungleiche Umgang mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit erweckt den Eindruck, dass weiße Opfer mehr zählen als schwarze.....
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