Samstag, 6. März 2021

Züchter und Denker

Philosophen, Politiker und Transhumanisten versuchen dem „Übermenschen“ den Weg zu bereiten — das Ergebnis dürfte vor allem eines sein: unmenschlich.

..... Anfang des 20. Jahrhunderts war Eugenik en vogue, gerade auch in intellektuellen Kreisen und durchaus nicht nur in Deutschland. Theoretiker wie Arthure Gobineau und Sir Francis Galton, ein Halb-Cousin Darwins, wandten sich gegen eine Vermischung der „Rassen“. Eine Höherentwicklung der Menschheit sollte durch die Dominanz der „Stärkeren“ sowie die Unterdrückung oder gar Ausrottung der „Schwächeren“ erreicht werden. Die Eugeniker propagierten vor allem die Idee, die Menschheit könne die Höherentwicklung ihrer Art in ihre eigenen Hände nehmen und bewusst beschleunigen. Sie verstanden darunter nicht nur einen allgemeinen „Daseinskampf“ um Arbeitsplätze und Paarungsmöglichkeiten, sondern durchaus auch rabiate Maßnahmen wie die Sterilisation oder gar Ausmerzung von „unwertem Leben“.

Der Hitler-Biograf Claus Hant beschreibt in seinem Buch-Kapitel über Eugenik, dass mit der Rassenlehre auch eine deutlich antisoziale und antidemokratische Haltung verbunden war:

„Der Anspruch auf soziale und politische Chancengleichheit wurde von der Eugenik verneint. An dessen Stelle trat die scheinbar biologisch fundierte Forschung nach rassischer Auslese. Für viele rational denkende Intellektuelle besaßen diese Ideen mehr Überzeugungskraft als das humanitäre Postulat individueller Menschenrechte.“

..... In Amerika wie Europa machten Eugeniker Druck auf die Regierungen. Nationaler Kultur- und Bedeutungsverlust, ja sogar das Aussterben des eigenen Volkes oder gar der ganzen Menschheit drohe, es sei deshalb Gefahr im Verzug. Wohl in Anspielung auf heutige Verhältnisse berichtet Claus Hant, dass es Gegner der dominanten eugenischen Weltanschauung damals nicht leicht hatten, sich durchzusetzen:

„Eugenik-Leugner, die vor Panikmache warnten oder gar die Wissenschaftlichkeit der Eugenik bezweifelten, wurden als realitätsblinde Ignoranten an den Pranger gestellt. Man warf ihnen vor, dass sie mit ihrem Widerstand gegen durchgreifende staatliche Maßnahmen das Überleben künftiger Generationen gefährdeten.“

Das historische Beispiel zeigt, wie sich ein „Mem“, also quasi ein übertragbares Gedankenvirus, ausbreiten und auch vermeintlich intellektuell hochstehende Bürger entwickelter Gesellschaften infizieren kann. So lange, bis der Wahn zum Gemeingut wird und die vernünftigeren, menschlichen Kräfte in die Defensive zu treiben vermag.....
Die Eugenik-Formel

Im Ganzen basierte das Denken und Treiben der Eugeniker sowie der Nazis ungefähr auf folgender „Formel“:
  • Der Sinn der Evolution besteht kollektiv in einer immer weiter gehenden Höherentwicklung.
  • Diese Höherentwicklung erfolgt im Normalfall auf natürliche Weise – durch Zuchtwahl. Nur die genetischen Merkmale der „stärkeren“ beziehungsweise besser angepassten Individuen können weitervererbt werden.
  • Höherentwicklung wird jedoch vereitelt, indem sich „alle“ – also auch Individuen mit weniger wertvollem genetischen Material — fortpflanzen dürfen. Es ist somit schädlich, genetisch fehlerhafte Menschen weiterleben zu lassen und ihnen sogar Paarung zu ermöglichen.
  • Das Evolutionsziel der Höherentwicklung sollte von diesbezüglich kompetenten Menschen bewusst gesteuert und beschleunigt werden: durch die Förderung der Fortpflanzung genetisch „reiner“ und „hochwertiger“ Menschen.
  • Ideen von Gleichheit und Gleichwertigkeit schaden dem Ziel der Höherentwicklung. Ebenso die Demokratie, die dem „aristokratischen“ Prinzip der Natur widerspricht.
  • Das Ziel der Höherentwicklung und die Mittel ihrer praktischen Durchführung sind nicht bloß Ausdruck einer Meinung oder spezifischen Weltanschauung, sie sind durch objektive wissenschaftliche Erkenntnisse geboten.

Auf dem Weg zum Gottmenschen: Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Buch „Homo Deus“ gleich drei Höherzüchtungsstrategien.

„Das ‚Upgrade‘ von Menschen zu Göttern kann auf drei Wegen erfolgen: durch Biotechnologie, durch Cyborg-Technologie und durch die Erzeugung nicht-organischer Lebewesen. Die Biotechnologie (oder noch umfassender Bioengineering) geht von der Erkenntnis aus, dass wir weit davon entfernt sind, das volle Potenzial organischer Körper auszuschöpfen.“

Harari hält es zum Beispiel für möglich, dass die Stammzellenforschung bald in der Lage sein wird, „ein unbegrenztes Angebot an billigen menschlichen Embryonen zu erzeugen“. Aus diesen könnten dann jeweils diejenigen mit den genetisch besten Eigenschaften ausgewählt werden. „Man wiederhole dieses Verfahren über ein paar Generationen, und am Ende hat man tatsächlich Übermenschen (oder eine gruselige Dystopie).“

Ehrfurcht vor dem Leben, wie es Albert Schweitzer nannte, sieht jedenfalls anders aus. Wie kaum anders zu erwarten, sagt auch Harari voraus, dass die Technik-Avantgarde dem Gras nicht beim Wachsen zusehen wird, sondern vielmehr kräftig von oben daran ziehen wird....

.... Eugenik 2.0: Vergleicht man die Übermenschen-Fantasien der Transhumanisten mit denen der Nazis, so können wir ähnliche Ziele und eine ähnliche Grund-Mentalität feststellen, wohl aber Uneinigkeit bei einigen Details. Hitler und seine Anhänger verknüpften die Eigenschaften des „höheren“ und „niederen“ Menschen mit äußeren Körpermerkmalen. Schon die unbefangene Beobachtung unserer Mitmenschen zeigt aber, dass Qualitäten wie Kraft, Schönheit, Intelligenz und Kreativität nicht an einen Blondschopf und helle Haut gebunden sind. Es wäre nicht nur in hohem Maße beleidigend, etwa Juden und Menschen aus der arabischen Welt die „Kulturfähigkeit“ abzusprechen — der so Denkende machte sich auch lächerlich.

Heutige Höherzüchter gehen weitaus subtiler vor, Hautfarbe und vergleichbare Merkmale sind ihnen egal. „Doch während Hitler und sein Gefolge solche Übermenschen mit Hilfe von Zuchtwahl und ethnischer Säuberung produzieren wollen, hofft der Techno-Humanismus des 21. Jahrhunderts, dieses Ziel weitaus friedlicher zu erreichen, nämlich mit Hilfe von Gentechnik, Nanotechnologie und Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer“, so Harari....

Ist „Übermenschentum“ also unser aller Zukunft? Hierauf könnte man antworten: „Nur wenige sind auserwählt.“ Harari entwirft ein plausibles Szenario, wonach sich die Menschheit zunehmend in eine kleine Elite und den zu vernachlässigenden Rest aufspalten wird. Das scheint keine sehr originelle Erkenntnis zu sein, denn in Bezug auf Geld und Privilegien gibt es diese Spaltung schon lange. In Zukunft könnte aber hinzukommen, dass der reichen Avantgarde auch bio- und gentechnologisch optimierte Körper sowie Cyborg-Implantate zur Verfügung stehen werden, während alle „Normalen“ in den beklagenswerten Körpern des „alten Menschen“ feststecken werden...

.... „Es könnte gut sein, dass wir unsere Körper und unsere Gehirne erfolgreich optimieren, dabei aber unseren Geist verlieren. Tatsächlich könnte der Techno-Humanismus die Menschen am Ende ‚downgraden‘“, schreibt Harari.

Die plausibelste Vorhersage über den Menschen der Zukunft geht wohl dahin, dass es auf mindestens zwei Klassen von Individuen hinausläuft: auf Technik-Apartheid. Der bewusst und zielgerichtet degradierte Herdenmensch, soll — wie sich bereits jetzt andeutet — vor allem eines: funktionieren und gehorchen. Die Funktion des Homo ovis (Schafmenschen) wird sich darin erschöpfen, dem Homo deus (Gottmenschen), durch den er beliebig steuer- und manipulierbar ist, zu dienen.

.... Beim Marsch in die neue Welt wird eine sicherlich als nicht zukunftsfähig aussortiert werden: die Freiheit. Die Menschheit könnte dann enden wie das letzte Kapitel von George Orwells Roman „1984“: mit der bedingungslosen Identifikation mit dem Peiniger. „Er/sie liebte den Großen Bruder.“ Im Gegensatz zum Roman ist in der Wirklichkeit das Ende jedoch noch nicht geschrieben. Noch können wir gegensteuern.

vollständiger Artikel hier:  Züchter und Denker | Rubikon

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen