Sonntag, 7. Februar 2021

KOPFTUCHVERBOT - Wenn das Kopfkino Verfassungsrang beansprucht

Der Berliner Justizsenator, Dirk Behrendt (Grüne), will Lehrkräften zukünftig erlauben, im Schuldienst eine religiös konnotierte Bekleidung zu tragen. Dies wird von verschiedenen Politiker:innen, Lehrer:innenvertretern und der Juristin Seyran Ates scharf kritisiert. Sie befürchten eine Störung des Schulfriedens. Auch wenn Befürchtungen keine rechtlich zulässige Grundlage für Grundrechtseinschränkungen sind, ist ein Blick darauf notwendig, denn es offenbaren sich problematische Denkmuster.....

..... Doch die zum wiederholten Mal teils heftigen Reaktionen offenbaren, dass etliche Politiker:innen und Schulverantwortliche in Berlin sehr eigene Vorstellungen davon pflegen, für wie verbindlich sie Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts halten – von Gerichtsentscheidungen unterhalb dieser Ebene ganz zu schweigen. Wenn höchstrichterliche Urteile nur noch als „Richtschnur“ verstanden werden, an die man sich halten kann, aber nicht muss, dann ist das eine Ermunterung zum „Widerstand“ für all diejenigen, die unzufrieden sind, wenn Gerichte nicht so entscheiden, wie sie sich das vorstellen. Wohin das führt und was das für den gesellschaftlichen Frieden bedeutet, bedarf keiner weiteren Erläuterung.....

.... Das Bundesverfassungsgericht entschied 2015, dass ein pauschales Kopftuchverbot aufgrund einer lediglich abstrakten (d.h. erwarteten, angenommenen) Gefahr ein unverhältnismäßiger und damit nicht zulässiger Eingriff in die Religionsfreiheit ist. Nur eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität können unter bestimmten Bedingungen ein Verbot im Einzelfall begründen.2....

.... Sie existieren zunächst einmal lediglich in den Köpfen derjenigen, die sich ausmalen, was passieren könnte, wenn eine Lehrerin mit Kopftuch an einer Schule unterrichten würde. Mit solchen Gedankenspielen – seien sie nun eine Hochrechnung von an Schulen tatsächlich existierenden Konflikten oder völlig aus der Luft gegriffen – lassen sich nun einmal keine gesetzlichen Verbote begründen. Erst recht lassen sich damit keine Eingriffe in die Religionsfreiheit begründen, die in der Regel Minderheiten schützt und der daher rechtlich mehr Gewicht beigemessen wird als der allgemeinen Handlungsfreiheit....

.... Diese Aussagen senden unmissverständlich zwei Botschaften: Eine kopftuchtragende Lehrerin hat eine Eigenschaft, die negativ bewertet wird und alles andere ihrer Persönlichkeit überdeckt – sie hat sich dafür entschieden, eine religiöse Regel, die sie für verbindlich hält, auch umzusetzen – und die Übernahme dieser Eigenschaft durch muslimische (und nicht-muslimische) Kinder muss unbedingt verhindert werden. Die zweite Botschaft: Muslimischen Eltern, die ihre Kinder religiös erziehen, muss in der Schule etwas entgegengesetzt werden, es muss eine Umerziehung zur Freiheit im Sinne der Freiheit von Religion, insbesondere vom Islam erfolgen. In die muslimischen Familien muss quasi eine nicht-muslimische Lehrerin mit einziehen, damit Kinder die Möglichkeit haben, etwas anderes gut zu finden, als das, was ihre Eltern gut finden. Jeder, der jetzt: „Genau!“ denkt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass – gleiches Recht für alle – damit auch seine (rechtlich absolut zulässige) Lebensgestaltung zur Disposition steht und der Tag kommen könnte, an dem der Staat beschließt, auch seine Kinder müssten vor ihm „in Schutz genommen“ werden....

..... Es bleibt zu hoffen, dass die real existierende religiöse und weltanschauliche Vielfalt der Bevölkerung sich auch in Berlin zukünftig nicht nur in der Schülerschaft, sondern auch in den Kollegien angemessen widerspiegeln wird. Die rechtliche Lage ist klar. Es wäre ein fatales Signal, wenn einzelne Politiker:innen und Schulleitungen sich nicht endlich darauf besinnen würden, dass der Respekt vor Gerichtsurteilen und deren Umsetzung zum Kern der Demokratie gehört und der Staat nur in einer stabilen Demokratie seiner Aufgabe, die Heimstatt aller Bürger:innen zu sein, gerecht werden kann.

sehr lesenswerter Artikel im Migazin: Kopftuch: Wenn das Kopfkino Verfassungsrang beansprucht (migazin.de)







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