Freitag, 18. Oktober 2019

Sprachrealität - AfD-Sprache als schleichendes Gift

Was bringt Menschen dazu, aus rassistischen Motiven heraus unschuldige Menschen kaltblütig zu ermorden? Dr. Clara Herdeanu schreibt in ihrer neuen MiGAZIN Kolumne, welche Rolle Sprache hat und wer „Sprachrealitäten“ schafft.

….. Denn Sprache ist keineswegs ein neutrales Abbild der Welt. Im Gegenteil: Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung der Welt, unser Denken und damit auch unser Handeln.

…… Gerade weil wir selten darüber nachdenken, wie Sprache unser Denken beeinflusst, sind wir auch empfänglich für Manipulationen. Besonders gut verstanden haben dies autoritäre Systeme wie das Dritte Reich oder der Sozialismus in den ehemaligen Ostblockstaaten. Deshalb erstaunt und erschreckt es umso mehr, wenn sich in den heutigen öffentlichen Diskurs quasi durch die Hintertür wieder Vokabeln und Sprachphänomene menschenverachtender Ideologien einschleichen.

….. Warum benutze Höcke Formulierungen wie Keimzelle des Volkes, entartet, Volksverderber und Lebensraum, wenn er doch die Geschichte dieser Ausdrücke kenne? Höcke verfolgt in seiner Antwort eine zweigleisige Rechtfertigungsstrategie: Zum einen versucht er abzustreiten, dass es zahllose wissenschaftliche Analysen zur NS-Sprache gibt. Zum anderen rechtfertigt er sich damit, dass es alle diese Begriffe (…) davor genauso wie danach in den verschiedenen Fachbereichen wie zum Beispiel der Biologie bereits gegeben hätte – und weist dabei paradoxerweise auf ein in der Forschung ausführlich beschriebenes Merkmal der Sprache zum und im Nationalsozialismus hin

…. Die wichtigste und typischste Erscheinung des antisemitischen Wortschatzes ist die Biologisierung“, wie dies der Germanist Christoph Cobet 1973 bereits über den „Wortschatz des Antisemitismus in der Bismarckzeit“ schrieb.

…. „Die ausschließlich positiv bewertete Eigengruppe ist als leidendes Objekt den Mächten und Machenschaften des bekämpften Feindbereichs ausgeliefert“ beschreibt der Linguistikprofessor Wolfgang Sauer dieses Phänomen bereits 1978 in seiner Untersuchung „Der Sprachgebrauch von Nationalsozialisten vor 1933“. Mit Hilfe dieser Angstsprache soll geteilt, soll aufgestachelt werden.

… Nicht umsonst mahnte bereits Victor Klemperer deshalb in seinem Werk LTI (Lingua Tertii Imperii). Notizbuch eines Philologen: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“. In Anbetracht heutiger Versuche erneut eine diffamierende Angstsprache zu etablieren sollte das Gebot der Stunde deshalb lauten: Wehret den Anfängen!

Artikel im Migazin

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