Die vorangetriebene Globalisierung bringt es mit sich, dass wirtschaftliche Beziehungen über weite Distanzen hinweg recht verwinkelte, abstrakte Formen annehmen können, die dann jedoch zu sehr konkretem millionenfachem Leid führen.
Ein Beispiel hierfür sind die Entwicklungen auf den
globalen Rohstoffmärkten. Hier kam es ab 2007 zu einem extremen und
sprunghaften Preisanstieg auch für Grundnahrungsmittel. In der Folgezeit stieg die Unterernährung in Afrika dramatisch an und betraf 2008 238 Mio. Menschen.27 Auch die Aufstände in arabischen Ländern seit 2010 stehen im Zusammenhang
mit den in jenem Zeitraum erneut explodierten Rohstoffpreisen. Menschen
in afrikanischen Ländern sind von derartigen Preisschwankungen
besonders betroffen, da sie einen Großteil ihres geringen Einkommens für
Grundnahrungsmittel ausgeben, so dass sie zusätzliche Kosten hier nicht
durch Verzicht in anderen Bereichen ausgleichen können. Wer z.B. in
Ghana über 70% des Einkommens für Grundnahrungsmittel aufwendet, wie
dies für mehr als ein Viertel der Bevölkerung der Fall ist, kann einen
sich innerhalb von wenigen Monaten verdoppelnden Maispreis nicht
bezahlen.
Die genannten Preisschwankungen für Grundnahrungsmittel
lassen sich hierbei nicht plausibel auf sog. Fundamentaldaten
zurückführen, zu denen etwa Ernteausfälle oder Bevölkerungswachstum
zählen. Besser erklären lassen sie sich hingegen durch die zunehmende
Nahrungsmittelspekulation von Investmentfonds28 (also Geldsammelstellen), die Gelder auf den Warenterminbörsen29
"investieren", um von der Preissteigerung zu profitieren, auf diese
Weise jedoch zugleich eine Preissteigerung auf diesen hervorrufen.30
Zwar bestimmen Warenterminbörsen lediglich einen Preis
für Lieferungen in der Zukunft, doch haben sie eine wichtige
Anzeigefunktion für die momentanen Preise. Investmentfonds, die auf
steigende Zukunftspreise wetten, beeinflussen so auch den Preis in der
Gegenwart, da etwa VerkäuferInnen Nahrungsmittel zurückhalten, um an den
vorweggenommenen Preisanstiegen zu partizipieren oder weil HändlerInnen
vorzeitig kaufen, um dem Preisanstieg zu entgehen, auf diese Weise
jedoch durch vermehrte Nachfrage den Preis steigen lassen.
Nun könnte man meinen, dass zumindest die überwiegend
kleinbäuerlich organisierten Produzenten in Entwicklungsländern von
steigenden Preisen einen Vorteil haben, doch dies ist weitgehend nicht
der Fall, u.a. da sie nach der Erntezeit selbst zu Konsumenten werden.
Stattdessen sind es die Zwischenhändler und Großbetriebe, die von
Preissteigerungen profitieren.31
Besonders betroffen sind die kleinbäuerlichen
Produzenten zudem von den enormen Preisschwankungen, die ihnen die
Planungsgrundlage entziehen und vielfach zur Zahlungsunfähigkeit führen.
Auch hier spielten IWF und Weltbank wiederum eine entscheidende Rolle
bei der Verelendung, da sie im Rahmen der bereits beschriebenen
Strukturanpassungsprogramme, die sie den Entwicklungsländern
abverlangten, dafür sorgten, dass sich die heimischen ProduzentInnen
nach der Abschaffung von Subventionen seitens der Regierung auf den
Anbau von Agrarrohstoffen für den Exportmarkt verlagerten. Zusätzlich
forderten die Programme die Abschaffung staatlicher Vorratshaltung, so
dass die Länder auch hierdurch abhängiger von den instabilen Weltmärkten
für Nahrungsmittel wurden.32
Land Grabbing
Die steigenden Preise auf den Agrarrohstoff-Märkten
beschleunigten noch ein weiteres Phänomen, das zunehmend zu Hunger und
Existenzgefährdung in den ärmsten Ländern der Welt beiträgt: die sog.
Landnahme (engl. "Land Grabbing"). Hierbei kaufen oder pachten
Großanleger wie Hedgefonds oder Konzerne riesige landwirtschaftlich
nutzbare Gebiete in den Entwicklungsländern auf, um darauf Rohstoffe für
die umsatzstarken Märkte der Industrie- und Schwellenländer anzubauen.
Häufig kommt es dabei zu gewaltsamen Vertreibungen der einheimischen
Kleinbauern und -bäuerinnen, besonders solcher, die über keine formalen
Besitztitel verfügen, sondern die Böden bislang aus Gewohnheitsrecht
heraus als Lebensgrundlage nutzten.33
Eine Studie der Weltbank kommt auf eine Zahl von mehr 56 Mio. Hektar34,
die in Form großflächiger Anbauflächen allein innerhalb des Jahres 2009
zum Geschäftsobjekt wurden. Hiervon lag der Großteil (ca. 2/3) in
Subsahara-Afrika. Eine weitere Veröffentlichung
der Weltbank-Studie zeigt auf, dass die größten Herkunftsländer der
Investoren bislang das Vereinigte Königreich, China, sowie Saudi-Arabien
sind (jeweils rund 10% Anteil).35
Aber auch europäische Finanzinstitutionen wie die Deutsche Bank, die
Allianz oder die französische Großbank BNP Paribas sind durch speziell
gegründete Fonds oder als Anteilseigner von Konzernen in großem Stil an
dem Kauf oder der langfristigen Pachtung von Land in den
Entwicklungsländern beteiligt.36
Selbst die Weltbank übt in ihrer Studie scharfe Kritik
an der bisherigen Art und Weise, sowie den Konsequenzen von
Landaufkäufen in Entwicklungsländern, wie sie immer umfassender
erfolgen, da diese nicht nur mit Vertreibung, Entrechtung und Gewalt,
sondern auch ohne die Schaffung nachhaltiger Einkommensmöglichkeiten für
die betroffenen Bevölkerungen einhergehen. Hierbei kommt die Weltbank
jedoch leider nicht auf die eigene Rolle durch die ihr zugehörige
International Finance Corporation (IFC) bei der Förderung derartiger
Privatinvestitionen zu sprechen.37
Die Führungsetage von Absurdistan
Hält man sich die wirtschaftlichen Zusammenhänge der
sich globalisierenden Welt vor Augen und legt humanistische Maßstäbe
allein an das Handeln der eigenen, doch eigentlich demokratisch
legitimierten Regierungen an, wird die umfassende Absurdität schnell
sichtbar und all jene Vernunft, die im alltäglichen Nahbereich noch
selbstverständlich scheint, ist verschwunden.
Überschüssige Finanzmittel in den USA und Europa, die
durch vier Jahrzehnte neoliberaler Umverteilung von unten nach oben
entstanden sind, suchen weiterhin verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten
auf den Finanz-, Währungs- und Rohstoffmärkten. Sie führen dabei nicht
nur zu Immobilienblasen und Wirtschaftskrisen, wie erst jüngst in den
westlichen Industriestaaten, sondern ebenfalls zu
Rohstoffpreisexplosionen, die die Menschen in den armen Ländern in noch
grausamerer Zahl verhungern lassen.
Mit immer höheren Werbeetats bemühen sich die immer
stärker kapitalkonzentrierten Konzerne die Nachfrage der aufgrund von
Niedriglohn, Sozial- und Rentenkürzung immer weniger kaufkräftigen
Durchschnittsbevölkerungen in den Industriestaaten anzuheizen. Es soll
der Befriedigungsersatz in der sinnentkernten Konsumption gefunden
werden, wenn doch die Alltagswelt zunehmend von Druck und Zukunftssorgen
geprägt ist. Die ausgeweiteten und vom Wesentlichen wegverlagerten
Bedürfnisse, die in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit und allgemeinen
Lohnsenkungslogik zu immer stressigerer Einkommenskonkurrenz bei der
Mehrheit führen, werden schließlich durch Kapitalfeldzüge in die ärmsten
Regionen der Erde dadurch erfüllt, dass umfassende Verfügungsgewalt
über die natürlichen Schätze dieser Länder errungen wird. Ein Verhalten,
das, aus Kolonialzeiten bekannt, in den "fortschrittlichen" und
"aufgeklärten" Demokratien unter dem Deckmantel der
"gemeinwohldienlichen" Wirtschaftsinteressen mit ihren
Direktinvestitionen und Wachstumspotentialen, unter dem Banner einer
"Corporate Social Responsibility", flankiert noch von dem wolkig
definierten "Krieg gegen den Terrorismus", fortgeführt wird.
Was die Konsequenzen dieser Ausbeutungspyramide
anbelangt, die auf der untersten Etage als Krieg, Hungertod und
Flüchtlingsströme sichtbar werden, so schotten sich die oberen Etagen entweder ab oder erschließen sich gar neue Geschäftsfelder aus diesen.38 Doch wie der anfänglich erwähnte World Wealth Report feststellt: die Spitze floriert. Oder in den Worten seiner Autoren:
...the relentless growth of "plutonomy" economics, a
phenomenon that sees the wealth of the richest 1% growing far quicker
than that of the general population...
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