Die Bevölkerungen der Industrieländer sind privilegiert, weil ihre Wirtschaftsräume auf die Rohstoffe und Arbeit anderer Länder zurückgreifen können
Während sich im Zuge von Finanzmarkt- und Immobilienkrisen, einer desaströsen Wettbewerbsdoktrin im Außenhandel (Der Exportüberschussweltmeister), drakonischen Kürzungs- und Lohnsenkungsprogrammen,
sowie dem europaweit verankerten Fiskalpakt in einer der Kernregionen
des Kapitalismus nun wohl zu einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise
kommen wird, die weltweit massive Auswirkungen haben dürfte und
Arbeitslosigkeit, sowie Ungleichheit weiter explodieren lässt, läuft man
Gefahr, die menschenverachtende Ungleichheit im globalen Maßstab aus
dem Blick zu verlieren.
Betrachtet man jedoch die weltweiten
Verteilungsverhältnisse, ist festzustellen, dass die Menschen in den
Industriestaaten natürlich die Privilegierten dieser Welt sind. Sie
verfügen in der Regel über Zugang zu sauberem Wasser, Schulbildung,
genügend Nahrung, eine warme Behausung, medizinische Versorgung und
vieles mehr, wovon die meisten Menschen in den Entwicklungsländern nur
träumen können.1
In diesen privilegierten Status sind die Bevölkerungen der
Industrieländer auch dadurch versetzt, dass ihre Wirtschaftsräume auf
die Rohstoffe und Arbeit anderer Länder zurückgreifen können.
Umso wichtiger wäre es, dass diese Ressourcen mit
angemessenen Gegenleistungen verbunden wären, die wiederum den Menschen
in den weniger entwickelten Ländern dieser Welt einen "gerechten"
Ausgleich bringen würden und einen raschen wirtschaftlichen Aufstieg
ermöglichten. Doch dies wird verhindert durch die historisch und mit
Gewalt hervorgerufene Machtasymmetrie im Verteilungsregime, die dafür
sorgt, dass der absolute Mangel in der Welt bestehen bleibt und jeden
Tag zehntausende Menschen an Hunger oder heilbaren Krankheiten sterben,
obwohl die Produktivkräfte der Welt in der Lage wären, dies zu
verhindern.
Diese Bedingungskonstellation beruht auf den real
existierenden Wirtschaftssystemen, die zum großen Teil über den Handel
an Märkten den Rahmen dafür bilden, was (Angebot) aufgrund von wessen
Bedürfnissen und Geheiß durch Kaufkraft (Nachfrage) produziert wird,
welche Austauschrelationen (Preise) hierbei bestehen und wie aufgrund
dieser Prozesse die Verteilungsverhältnisse aussehen (Lohn, Gewinn,
Vermögen, Schulden). Neben der Verwüstung durch transkontinentale
Konzerne, der Plünderung der Entwicklungsländer, der Ausbeutung durch
Billiglöhne, der Versklavung von Menschen durch Mittellosigkeit, dem
Angst erzeugenden Abbau sozialer Leistungen und der Entrechtung der
Lohnabhängigen, ist es auch die medial organisierte Ablenkung der
Zivilgesellschaften vom Verstehen und Nachdenken über diese
entscheidenden Sachverhalte, die zu den Verbrechen dieser Welt gehören.
Von 1981 bis 2008 ist die Weltbevölkerung
von etwa 4,5 Mrd. Menschen auf 6,7 Mrd. Menschen, d.h. um rund 50%
gewachsen. In den letzten Jahrzehnten ist unter der bestehenden
Weltwirtschaftsordnung die globale Wirtschaftsleistung (BIP) real von
rund 27 Bio. US-$ (1981) auf rund 65 Bio. US-$ (2008) angestiegen.2. Die Zahl jener Menschen, die laut Weltbank-Definition als absolut arm gelten3 hat sich hierbei lediglich von rund 1,9 Mrd. Menschen (1981) auf rund 1,3 Mrd. (2008) reduziert.
Obwohl die Weltwirtschaftsleistung mit ca. 140% wesentlich schneller
gewachsen ist als die Weltbevölkerung (ca. 49%), ist die Anzahl der
Menschen, die von absoluter Armut betroffen sind, lediglich um rund 30%
zurückgegangen. Betrachtet man die Entwicklung bei jenen Menschen, die
weniger als 2 US-$ (PPP) pro Tag zur Verfügung haben und setzt die
Armutsgrenze somit etwas höher an, hat sich die Anzahl sogar fast gar
nicht reduziert.4
Für wen die bestehende Weltwirtschaftsordnung gemacht wurde, lässt sich im World Wealth Report 2012
nachlesen. Gerade in Zeiten der Finanzkrise lag die Zuwachsrate bei den
sogenannten Centa-Millionären, also jenen Personen, die über 100 Mio.
US-$ oder mehr verfügen, im Zeitraum von 2006 bis 2011 bei 29%. Diese
Gruppe von Multi-Millionären bis Multi-Milliardären umfasste 2011 ca. 63
000 Personen, die über ein Gesamtnettovermögen von rund 40 Bio. US-$
verfügten.
Besagter World Wealth Report spricht hier unverblümt von
einer Plutonomie, einem System, in dem das globale Wirtschaftswachstum
weitgehend auf das obere 1% entfällt. Während 2012 870 Mio. Menschen weltweit hungerten
und viele tausend jeden Tag aufgrund des Mangels elend starben,
explodierte also der Reichtum bei den relativ Wenigen. Umso
erschütternder ist es, dass das Problem des Hungers hierbei kein Problem der weltweiten Nahrungsmittelkapazitäten ist, sondern gerade eines der Armut.
Der größte Anteil an Unterernährten ist hierbei in
Afrika zu finden, dem Kontinent, der zugleich die höchsten Armutsquoten
aufweist. Hauptsächlich an diesem Beispiel soll nachfolgend ein wenig
erläutert werden, über welche Mechanismen die Mehrheit der Menschen in
den Entwicklungsländern durch die Wirtschaftsregime vornehmlich der
Industriestaaten sehr für sich-5 in ihrem Leid gehalten wird.
Eine Handelspolitik, die Armut konserviert
Vielen Menschen in westlichen Industrieländern, die über
Afrika nachdenken und sich nach den Ursachen für die offenkundige Armut
fragen, kommen vielleicht bewaffnete Konflikte, korrupte Eliten und
mangelnde Technologien in den Sinn. Vielleicht gestehen sie noch ein,
dass die Konflikte und Eliten auch ein Ergebnis kolonialer Wüterei sind,
bei dem ein Kontinent ohne Rücksicht auf sprachliche, ethnische oder
religiöse Gegebenheiten in Staatsgrenzen rein nach dem Gutdünken
europäischer Regierungen zerteilt wurde, wie dies etwa 1884/85 auf der
Kongo-Konferenz der Fall war. Seltener jedoch herrscht ein Bewusstsein
dafür vor, was der Anteil der eigenen, zeitgenössischen Regierungen an
der Aufrechterhaltung der materiellen Not sein könnte: "Wir leisten doch
schon Entwicklungshilfe! Und vergessen wir die TV-Spendengalas nicht!"
Über die Auswirkungen westlicher Handelspolitik hingegen
lässt sich schlecht nachdenken, da wenig Wissen über wirtschaftliche,
geschweige denn außenwirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt wird. Doch
wir leben in einer arbeits- und ressourcenteiligen Welt und es gibt mit
der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF)6
Institutionen, die, unter dem Deckmantel einer Förderung des
Welthandels zum Wohle aller, bislang die Interessen ihrer
Kapitalmehrheitseigner (der Industrieländer) durchgesetzt haben.
So wurden die meisten Entwicklungsländer (auch außerhalb Afrikas)7
im Laufe der 1980er und 90er Jahre im Gegenzug für Kreditzahlungen sog.
"Strukturanpassungsprogrammen" unterworfen, die als eines von vielen
Kernelementen die Liberalisierung des Außenhandels vorsahen, d.h. Abbau
von Maßnahmen wie z.B. Zöllen, die den heimischen Markt vor günstigen
ausländischen Produkten aus Industrieländern schützen sollten. Offiziell
verlautbartes Ziel war eine Modernisierung der dortigen Wirtschaft
durch ein Verschwinden ineffizienter Unternehmen vom Markt, sowie der
Ausbau des Exportsektors zum Wachstumsmotor, um die Auslandsverschuldung
zu verringern. Erreicht wurde dies jedoch nicht, sondern es stieg die
Arbeitslosigkeit, es nahmen Armut und Ungleichheit zu, es wurden die
nationalen Produktionskapazitäten abgebaut und von den gesteigerten
Exporterlösen in einigen wenigen Sektoren profitierten vornehmlich die
ansässigen ausländischen Konzerne.8
Die hierbei aufgenötigten Rezepte werden intellektuell
flankiert von ökonomischen Theorien, deren Annahmen zum Teil
abenteuerlich idealisiert und unter empirischen Gesichtspunkten schlicht
falsch sind. So wird der Freihandel etwa gerechtfertigt durch die Lehre
vom sog. "komparativen Kostenvorteil", bei dem jedes Land einfach das
herzustellen habe, was es relativ am besten kann. Dass von diesem
unregulierten Außenhandel dennoch propagiert wird, er würde allen
Beteiligten nutzen und nicht etwa die einen zu Gunsten der anderen
niederkonkurrieren und ihre Wirtschaftsstrukturen zugrunde richten, wird
durch aberwitzige, jedoch stillschweigend vorausgesetzte
Rahmenbedingungen wie Planwirtschaft und unbegrenzte Nachfrage erreicht.9
Neben Strukturanpassungsprogrammen, die die ökonomische
Basis afrikanischer, aber auch anderer Entwicklungsländer teilweise
dramatisch verschlechtert haben, besteht ein weiteres Moment der
Drangsal ausgeübt von den Industrieländern gegenüber afrikanischen
Ländern in der Verschlechterung von Handelsbedingungen. Von 1975 an galt
zwischen den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Südpazifik) und der
damaligen EWG das sog. Lomé-Abkommen. Dieses sah vor, dass die EWG auf
einen freien Zugang zu den Märkten der AKP-Staaten verzichtet, jedoch
ihrerseits keine Handelsbeschränkungen gegenüber diesen Staaten auf den
eigenen Märkten setzt.10
Diese Verträge werden allgemein in einen Zusammenhang mit der
Verantwortung der EWG-Staaten als ehemalige Kolonialmächte im Rahmen von
Entwicklungshilfemaßnahmen gestellt.
Nachdem jedoch 1995 die Welthandelsorganisation (WTO)
gegründet wurde, galt das Lomé-Abkommen als nicht mehr vereinbar mit den
Regeln dieser neuen Institution11 Unter diesem willkommenen Vorwand drängt die EU seit 2002 zur Durchsetzung von "Wirtschaftspartnerschaftsabkommen"
(EPAs) mit den AKP-Staaten. Diese Abkommen sehen eine weitgehende
Öffnung der AKP-Märkte für Güter aus der EU vor. Sollten derartige
Abkommen umgesetzt werden, wären die Konsequenzen für die AKP-Staaten
verheerend. So würden u.a. Importzölle wegfallen, wodurch die
Staatseinnahmen dieser Länder drastisch reduziert würden. Lokale Märkte
würden zudem noch weniger als bisher vor europäischen Billigimporten
geschützt werden können, so dass einheimische Anbieter ihre
Existenzgrundlage verlören und die Möglichkeit der Einkommensbildung in
den Ländern weiter reduziert würde. Bereits unter den jetzigen
Bedingungen überschwemmen subventionierte Lebensmittel aus der EU
auf dramatische Weise die afrikanischen Märkte und entziehen deren
Wirtschaftskreisläufen wichtige Einnahmen, die einen Wohlstandszuwachs
bei der Mehrheit der Bevölkerung ermöglichen würden.
Dass die EU hierbei in erster Linie nicht nur notwendige
Vorgaben der WTO umsetzt, sondern rücksichtslos den Ressourcenhunger
der heimischen Unternehmen befriedigen will, wird dadurch ersichtlich,
dass sie mit ihren Vorschlägen für EPAs deutlich über das hinausgeht,
was von der WTO eingefordert wird. So sah ein EU-Entwurf für EPAs mit
Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda und Burundi vor, dass die von diesen
Ländern eingeführten Exportsteuern nur noch sehr eingeschränkt und mit
vorheriger EU-Genehmigung erhoben werden könnten, obwohl dies nicht
zwingend aus den WTO-Grundsätzen folgte. Hierbei sind Exportsteuern doch
ein zentrales Element wirtschaftlicher Entwicklung in zahlreichen
Ländern mit schwach ausgeprägter Industrie, das dazu dient, dass
landeseigene Rohstoffe nicht mehr in dem bisher hohen Maße in
unverarbeiteter Form an das Ausland verkauft werden.
Heimischen Produzenten sollten die Exportsteuern
hingegen einen besseren Zugang zu Rohstoffen ermöglicht, um so eine
längere Wertschöpfungskette im Inland anzuregen, die letztlich Grundlage
einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung wäre.12
Kenia etwa hat sehr positive Erfahrungen mit Exportsteuern für
Tierhäute gemacht, die dazu führten, dass sich eine Wertschöpfungskette
für den Export von Lederwaren aufbaute. Das eigentliche Ziel der EU bei
der Einschränkung derartiger Exportsteuern im Rahmen von EPAs dürfte
daher in Übereinstimmung mit der von ihr verfolgten Rohstoffinitiative
allein darin liegen, ungehinderten Zugang zu den zahlreichen Rohstoffen
besonders in Afrika zu sichern, ohne dabei Rücksicht auf
Entwicklungsmöglichkeiten dieser Länder nehmen zu müssen.13
Wie sehr die EU ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil
zu Lasten der afrikanischen Länder verfolgt, lässt sich auch daran
ablesen, dass sie sich in ihren Verhandlungen zu den EPAs zugleich dafür
einsetzt, dass afrikanische Staaten, die bereits vorläufige EPAs (sog.
interim EPAs) ratifiziert haben, sich im Rahmen dieser Abkommen dazu
verpflichten mussten, in Folgeabkommen über die Liberalisierung
ausländischer Investitionen14, ausländischer Dienstleistungen, sowie des öffentlichen Beschaffungswesens15
zu verhandeln. Hierdurch eröffnen sich für die europäischen Unternehmen
und Konzerne nämlich lukrative Geschäftsfelder der Zukunft.
Bisher konnten sich die meisten afrikanischen Staaten
diesen Freihandelsabkommen widersetzen, doch der Druck seitens der EU
wird rasch größer. Zahlreiche afrikanische Staaten, die sich auf kein
"Wirtschaftspartnerschaftsabkommen" einlassen, fallen zurück auf andere
Vereinbarungen im Handel mit der EU, die schlechtere Bedingungen für sie
ausweisen, als dies momentan unter den noch gültigen Vereinbarungen der
Fall ist.16
Eine EU-Handelspolitik, die sich an den Bedürfnissen
Afrikas orientieren würde, würde zur Kenntnis nehmen, was der ehemalige
Präsident von Tansania, Benjamin W. Mkapa äußerte: "We cannot continue
to export a narrow range of products and import a broad range of
finished goods on our way to development. The hard work of
industrialization and food production must be done."
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